Keine Untreue bei Nachrangdarlehen? Der BGH zur Vermögensbetreuungspflicht und ihre Grenzen

Einleitung: Schutzlücken im Kapitalanlagerecht – oder rechtsstaatliche Grenze des Strafrechts?

In Zeiten renditeschwacher Märkte erfreuen sich sogenannte Nachrangdarlehen bei Anlegern wachsender Beliebtheit. Vor allem in der Welt des Crowdfundings und bei alternativen Finanzierungsformen gelten sie als probate Mittel zur Kapitalbeschaffung. Doch was geschieht, wenn mit den Anlegergeldern unsachgemäß umgegangen wird? Greift dann das Strafrecht – insbesondere wegen Untreue?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich jüngst mit dieser Frage befasst und eine klare Grenze gezogen: Eine strafrechtlich relevante Vermögensbetreuungspflicht besteht bei Nachrangdarlehen grundsätzlich nicht – auch dann nicht, wenn der Verwendungszweck durch Exposé oder Vertrag scheinbar vorgegeben ist.

Diese Entscheidung hat erhebliche Konsequenzen – nicht nur für Emittenten und ihre Berater, sondern auch für Anleger, Rechtsanwälte im Gesellschaftsrecht und für die Konzeption von Finanzierungsmodellen.

Der Hintergrund: Anlageprodukte und der Vorwurf der Untreue

Gegenstand der Entscheidung war ein Fall, der sich klassisch liest wie ein Lehrbuchbeispiel für zweifelhafte Kapitalanlagen: Ein faktischer Geschäftsführer ließ Anlegergelder über Nachrangdarlehen einsammeln, um sie anschließend zweckwidrig, unter anderem zur privaten Vermögensbildung, zu verwenden. In der ersten Instanz sah das Landgericht darin eine strafbare Untreue zulasten der Anleger.

Die Begründung: Durch die Ausgestaltung der Darlehen – insbesondere durch die Einbeziehung eines Exposés mit Zweckbindung – habe sich eine „auftragsähnliche Vermögensbetreuungspflicht“ ergeben. Der Verstoß gegen diese Pflicht sei strafbar nach § 266 StGB.

Der BGH sah dies jedoch anders – mit bemerkenswerter Klarheit.

Der rechtliche Maßstab: Wann liegt eine Vermögensbetreuungspflicht vor?

Das Strafrecht kennt in § 266 StGB zwei Varianten der Untreue: Die Missbrauchs- und die Treubruchtat. Im Fokus steht hier die sogenannte Treubruchtat, die eine konkrete Vermögensbetreuungspflicht voraussetzt. Diese muss mehr sein als bloße Vertragstreue oder Rücksichtnahmepflicht. Der BGH verlangt:

  • Eine hauptsächliche oder zumindest mitbestimmende Pflicht zur fremdnützigen Vermögenssorge,
  • einen eigenverantwortlichen Entscheidungsspielraum,
  • und eine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf fremdes Vermögen.

Solche Pflichten entstehen typischerweise in Treuhandverhältnissen, bei Vermögensverwaltungen oder organisatorischen Leitungsfunktionen – nicht aber automatisch in jedem Vertragsverhältnis mit wirtschaftlicher Bedeutung.

Die Entscheidung: Keine Vermögensbetreuungspflicht bei Nachrangdarlehen

Der BGH stellt nun ausdrücklich klar:
Ein Nachrangdarlehen begründet selbst dann keine strafrechtlich relevante Vermögensbetreuungspflicht, wenn es als Anlageprodukt mit Zweckbindung ausgestaltet ist.

Wesentliche Argumente der Entscheidung:

  • Die Nachrangstruktur stellt keine Besonderheit dar, die eine Treuepflicht auslöst. Vielmehr liegt hier ein klassischer Austauschvertrag mit erhöhtem Risiko und korrespondierendem Zinsversprechen vor.
  • Eine allgemeine Zweckbindung, wie sie in Exposés oder Vertragsprospekten enthalten ist, begründet keine vertragliche Verpflichtung zur treuhänderischen Vermögensverwaltung. Selbst wenn eine zweckwidrige Verwendung zivilrechtlich eine Vertragsverletzung darstellt, ist dies noch kein strafbarer Treuebruch.
  • Auch ein faktischer Geschäftsführer trifft keine weitergehende Pflicht zur Vermögenswahrung gegenüber den Anlegern, wenn die Vertragsgestaltung keine Vermögensbetreuungspflicht enthält.

Kein Vermögensnachteil – keine Untreue

Der BGH ging noch weiter: Selbst wenn man eine Pflichtverletzung unterstellte, müsste sie einen eigenständigen Vermögensnachteil verursachen, damit sie als Untreue strafbar wäre. Eine bloße Pflichtverletzung reicht nicht.

Im konkreten Fall war das Anlagekapital zudem bereits vor den relevanten Auszahlungen auf eine andere Gesellschaft übergegangen. Es bestand also keine direkte Vermögensidentität zwischen Anlegervermögen und den verwendeten Mitteln – ein weiterer Grund, weshalb der Vorwurf der Untreue ins Leere lief.

Einordnung und praktische Relevanz

a) Für Berater und Rechtsanwälte

Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit für Emittenten und Berater, insbesondere im Graubereich zwischen zivilrechtlicher Vertragsverletzung und strafrechtlicher Sanktion. Sie betont, dass das Strafrecht kein Ersatz für zivilrechtliche Haftungsmechanismen ist – ein Grundsatz, der in der Praxis oft zu Unrecht überdehnt wird.

b) Für den Crowdfunding-Markt und Emittenten

Gerade bei Nachrangdarlehen im Rahmen von Crowdinvestments bietet das Urteil wichtige Leitlinien:

  • Keine automatische Strafbarkeit bei zweckwidriger Verwendung,
  • klare Abgrenzung zwischen zivilrechtlicher Pflichtverletzung und Strafbarkeit,
  • und gestalterische Hinweise: Der Verwendungszweck sollte bewusst und nicht treuhandähnlich formuliert sein.

c) Für Anleger

Das Urteil ist nicht als Freibrief für unseriöse Anbieter zu verstehen. Zivilrechtliche Ansprüche – z. B. auf Rückzahlung oder Schadensersatz – bleiben unberührt. Es zeigt jedoch auch: Wer investieren will, sollte sich nicht allein auf die Strafbarkeit verlassen. Aufklärung, Prospektprüfung und Beratung bleiben unerlässlich.

Fazit: Strafrecht kein Allheilmittel – klare Grenzen bei Kapitalanlagen

Der BGH bleibt seiner Linie treu: Die Strafbarkeit wegen Untreue setzt enge Voraussetzungen voraus. Nicht jede Zweckverfehlung in der Kapitalanlage ist automatisch ein Fall für den Staatsanwalt. Vielmehr müssen klare treuhänderische Pflichten und ein konkreter Vermögensnachteil vorliegen.

Für Rechtsanwälte im Gesellschaftsrecht, insbesondere im Bereich von Finanzierungsmodellen, Crowdfunding und Kapitalanlagen, ist diese Entscheidung ein zentraler Ankerpunkt in der Beratungspraxis – und zugleich eine Mahnung: Klarheit in der Vertragsgestaltung schützt vor (strafrechtlicher) Überraschung.

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